Fadenspiel–ein poetisches Foto-Essay von Sonia Epple

Die Kamera gehört für die Fotografin Sonia Epple zu ihrem täglichen, kreativen Ausdrucksmittel. Mit einem sehr liebevollen Blick begleitet Sonia seit vielen Jahren ihre Familie fotografisch. Dieses Essay widmet sie ihrem Sohn. Wir haben ihr einige Fragen zur Entstehung und der Umsetzung gestellt. Zusammen mit Sonia leiten wir den Workshop Poetisches Foto-Essay.

„Mit diesen Bildern möchte ich zeigen, was es für mich bedeutet, eine pflegende Mutter zu sein. Sie helfen mir selbst, das Erlebte und auch Geleistete zu erkennen und zu verarbeiten und sie sollen auch anderen Menschen einen Einblick in meine Lebensrealität geben.“

Du hast für dein Essay ein sehr persönliches Thema gewählt. Wie war der Entstehungsprozess? 

In meinem Foto-Essay „Fadenspiel“ geht es um die Spannungen, denen ein Kind auf dem Autismus-Spektrum jeden Tag aufs Neue ausgesetzt ist und meine Rolle als Mutter, in der ich meinem Kind helfe, durch diese für ihn sehr verwirrende Welt zu navigieren. Es ist wie ein Faden, der sich leicht verknotet und immer wieder entwirrt werden muss. Das „Sich-Verlieren“ in all den Sinneseindrücken und das „Sich-Wieder-Finden“ und Sortieren, um mit all dem, was die Welt einem abverlangt, zurechtzukommen. 

Mir ist es schon immer ein Bedürfnis, meine Familie und das, was uns ausmacht, für uns festzuhalten und zu dokumentieren.

Fotos unseres Alltags sind für mich ein Geschenk an uns selbst, aber auch eine Art, mein eigenes Leben zu reflektieren. 

Das Leben als Mama eines neurodiversen Kindes kann besonders herausfordernd sein. Diese Bilder helfen mir, das Erlebte einzuordnen und zu verarbeiten. 

Ich habe die Bilder schon lange in einem eigenen Ordner gesammelt. Als ich mit meiner Freundin, der Fotografin Marcia Friese, über unsere Gemeinsamkeiten im Zusammenhang mit dem Autismus-Spektrum sprach, kam uns die Idee, ein Buch zu machen, aber auch jeweils eine Bilderserie, die wir für Ausstellungen nutzen können, um uns in diesem Bereich auch politisch zu engagieren. 

Wie dokumentarisch oder konzeptuell war dein Ansatz? Wie bist du auf Bildideen gekommen? 

Meine Bilder sind bis auf das Bild mit dem Baum rein dokumentarisch entstanden. Ich habe im Urlaub auf einem Spielplatz den Schatten eines Baumes an der Wand gesehen und dabei an das besondere Gehirn meines Kindes gedacht. Ich hatte im Zusammenhang mit Autismus-Spektrum die Begriffe „Feuerwerk im Kopf” und “Superzellen” gelesen und musste daran denken. Ich habe meinen Sohn dann kurz gebeten, zum Baum zu kommen und er hat sich selbst so hingestellt.

Hast du speziell für dein Thema fotografiert oder die Bilder im Nachhinein ausgewählt?

Ich habe immer unser Leben auf dem Autismus-Spektrum dokumentiert und auch speziell dafür fotografiert. Für dieses Essay wurden die Bilder jedoch nachträglich aus meinem Archiv ausgewählt.

Nach welchen Kriterien hast du editiert?

Beim Auswählen der Bilder für dieses Essay habe ich Bilder gesucht, die für diese verschiedenen Emotionen und Spannungen stehen, durch die mein neurodiverses Kind sich jeden Tag aufs Neue bewegt. Dieses Auf und Ab der Gefühle bilden für mich die Grundlage dieses Essays. Es ist wie bei einem Mobile, wo alles immer wieder ins Wanken gerät und sich immer wieder auspendeln und zur Ruhe kommen muss. Diese Spannung in unserem Alltag (sowohl für mein Kind, als auch für mich als Mutter, die ihn immer wieder auffängt) habe ich bewusst als Rhythmus bei der Anordnung der Bilder gewählt. 

Nachdem der Grundrhythmus für mich klar war, habe ich nach Bildpaaren oder Sequenzen gesucht, die gut miteinander harmonieren, Übergänge schaffen und gemeinsam eine Geschichte erzählen.

Es war mir wichtig, sowohl seine Welt zu zeigen als auch meine Rolle in dieser Welt darzustellen.

Deshalb habe ich die zwei Selbstporträts mit mir relativ am Anfang und am Ende der Serie platziert. Diese Porträts dienen als Rahmen, ähnlich wie der Rahmen, den ich ihm im Alltag zu geben versuche, um ihm dabei zu helfen, immer wieder zur Ruhe zu kommen.

Warum hast du dich für schwarz-weiß entschieden?

Das Leben auf dem Spektrum ist bei uns von intensiven Emotionen begleitet. Mein Kind ist aufgrund der vielen Reize jeden Tag großen Spannungen ausgesetzt. Ich bewege mich immer zwischen den beiden Polen, mein Kind vor zu starken Eindrücken zu schützen und dem Auffangen von Meltdowns, um ihm zu helfen, wieder zur Ruhe zu kommen. Die Schwarz-Weiß-Bilder verstärken für mich durch die starken Kontraste dieses Gefühl.

Willst du dein Projekt einem größeren Publikum zugänglich machen?

Ich arbeite tatsächlich schon länger an einem gemeinsamen Buch mit Marcia Friese zu dem Thema. 

Diese Serie sehe ich eher als Ausstellung, die ich nutzen möchte, um auf das Thema Autismus-Spektrum in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen. Ich glaube, dass sich ein Foto-Essay sehr gut dafür eignet, eine Ausstellung vorzubereiten. Und es kann auch gut begleitend zur Ausstellung als Fotobuch funktionieren. 

Für meine Familie werde ich dieses Essay auf jeden Fall auch drucken lassen.

Vielen Dank, liebe Sonia!

Instagram: @soniaepplefotografie und @lebenaufdemspektrum


Workshop Poetisches Foto-Essay

Wenn du auch deine Ideen und Gefühle in poetische Bilder und Geschichten verwandeln möchtest, laden wir dich ein, in unseren Workshop Poetisches Foto-Essay zu kommen.

Im Workshop lernst du, eine visuelle Geschichte zu erzählen und findest deine ganz eigene Bildsprache. Du realisierst ein persönliches künstlerisches Projekt, lernst experimentelle Kamera-Techniken und gestaltest dein eigenes Buch.

Online-Workshop mit Gruppen-Mentoring und individuellem Feedback

Leitung: Eva Radünzel, Sonja Stich und Sonia Epple

Zurück
Zurück

Kunst und Gesellschaft – Ein Interview mit Natalie Sandsack

Weiter
Weiter

Wie ich in den kreativen Flow kam. Von Sophie Engel-Bansac