Intuition und Intention in der Remote-Fotografie. Didi von Boch im Interview

Selbstporträt von Didi

Didi von Boch ist eine deutsche Porträt-Fotografin, spezialisiert auf Frauen, insbesondere Mütter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von San Francisco. Während der letzten Jahre hat sie sich mit ihren unkonventionellen und mutigen Porträts einen Ruf als Fotografin erarbeitet und fotografiert inzwischen Mütter und Familien in der ganzen Welt. 

Dafür muss sie aber nicht reisen, sondern sie macht es mit einer App, die ihr erlaubt, das Handy ihrer Kundinnen, egal wo diese sind, als Kamera zu nutzen. Die Fotos, die sie mit fremden Handys am anderen Ende der Welt zaubert, sind genauso authentisch, berührend und spektakulär wie die aus ihren Fotosessions vor Ort. 

Wir wollten von ihr wissen, wie sie es in ihren Remote-Sessions schafft, auf die Entfernung eine Verbindung zu den Menschen herzustellen, die sie fotografiert und welche Rolle Intuition und Intention dabei spielen.

Alle Fotos in diesem Blogbeitrag (außer dem Selbstporträt) sind aus Didis Remote-Sessions.

Was ist Remote Fotografie und warum fasziniert sie dich so sehr?

In einem Remote-Shoot übernehme ich mit Hilfe einer App (Clos App) die Handy-Kamera meiner Kundin. Ich bin zum Beispiel in San Francisco und meine Kundin in Australien. Mit der Hilfe der App kann ich aus der Ferne das iPhone einer anderen Person in einem anderen Land bedienen (ich habe nur Zugriff auf die Kamera) So kann ich in der ganzen Welt fotografieren, ohne physisch anwesend zu sein.

Dieser Weg des Fotografierens inspiriert mich zutiefst. Er fordert mich heraus, lehrt mich und erweitert meine Perspektive. Es eröffnet viele Möglichkeiten und ich finde, man wächst ja immer, wenn man etwas Neues lernt. 

Viele Fragen kommen auf. Inwieweit ist es nun notwendig, mit der zu fotografierenden Person im Raum zu sein, um sie zu spüren und zu sehen? Wie verändert sich das Verhalten auf beiden Seiten? Und so weiter. Da kann ich Stunden drüber reden und nachdenken. So spannend! Ich bin komplett besessen.

Wie baust du eine emotionale Beziehung zu den Porträtierten auf?

Ich denke, ein großes Vertrauen ist wichtig. Ich weiß nicht, ob eine emotionale Verbindung entsteht oder da sein muss, aber ich hoffe, dass die wichtigste emotionale Bindung, die des subjects zu sich selbst oder zu einer anderen Person im Bild, sichtbar wird.

Was ich damit sagen will ist, dass die Person das “Sich-Einlassen-auf-Etwas” oder die Verletzlichkeit zulassen muss, und ich hoffe, dass ich ihr mit meiner Zugänglichkeit und Euphorie, die ich mitbringe, dabei helfen kann, sich sicher zu fühlen.

Das ist es, was ich suche und was mein Gegenüber zulassen muss, und das braucht Vertrauen. Ich schaffe einen Raum, in dem sich mein subject sicher fühlt. Ich leite und führe und gebe dem Gegenüber die Möglichkeit, Kontrolle abzugeben und sich so fallen zu lassen. Ein Kontrollfreak im Raum reicht, und das bin wohl eher ich.

Ist es beim Remote Fotografieren schwieriger als bei Live-Sessions, dass die Menschen dir vertrauen? 

Ich würde sagen, es braucht mehr Vorbereitung. Es ist mir wichtig, vor der Session ein Gespräch mit meinem subject (komisches Wort) zu haben. Ein remote shoot ist ja etwas schon recht Neues und braucht ein paar Erklärungen. Ich erkläre auch, wie ich arbeite, wie ich anleite, wie ich fühle. Ich bin sehr instinktgetrieben (haha das klingt auch komisch) und arbeite sehr intuitiv und darauf bereite ich sie vor.

Es ist sicher schwieriger, in einem Remote-Shoot durchzudringen, aber es ist alles möglich.

Wie nimmst du ihre kleinen Signale wahr, wenn du die Menschen nur auf dem Bildschirm siehst?

Hm, ehrlich gesagt, kann ich das nicht genau beantworten. Ich bin sehr vertieft während des Photoshoots, aber ich bin auch sehr verbunden mit der Person vor der Kamera, meistens der Mutter. Ich brauche immer eine Verbündete. Ich frage nach, informiere, spreche über Ideen und auch über eigene Grenzen. Direkte Kommunikation ist sehr wichtig im Shoot. Ich sage, dass ich mit vielen Ideen ankomme, und wenn es zu viel wird, dann soll sie bitte nein sagen. Das ist ok. Es ist immer eine Zusammenarbeit und ein konstantes Einchecken.

Woran merkst du, ob sie sich wohlfühlen?

Ich werde das sehr oft gefragt. Vielleicht weil sie nicht weglaufen? Haha, nein, im Ernst, ich denke, sie fühlen sich sicher und ok, da sie mir vertrauen. Sie bringen die richtige Attitude mit sich. Damit meine ich, dass es in diesen Sessions wichtig ist, zu “geben”, und zwar auf beiden Seiten. Es bedeutet Einsatz, auch wenn es Anstrengung mit sich bringt. Ich meine das wirklich ernst.

Ich denke “being comfortable” wird ein wenig überbewertet. Ich finde es ok, sich außerhalb der Komfortzone zu bewegen, wichtig sogar. Einfach mit etwas zu sitzen und zu bleiben, auch wenn es sich unbequem oder ungewohnt anfühlt. Das ist ein wichtiger Punkt in Remote-Shoots. Für mich bedeutet es, innezuhalten, zu fühlen und still zu sein, was ich ohne Kamera unmöglich hinbekomme.

Willst du die Persönlichkeit der Porträtierten zeigen oder geht es dir mehr um die Inszenierung?

Haha, Atemnot, Schnappatmung, Herzstillstand. Keine Ahnung. Ich bin ein großer Egoist und in großen Teilen geht es mir um die Befriedigung meiner fotografischen Lust. 

Es ist vielleicht ein Mix aus allem. Die Inszenierung einer Persönlichkeit. Ich liebe es Szenen zu kreieren und ich hoffe, dass die Persönlichkeit meines subjects sich in diesen Szenen widerspiegelt. Meine Persönlichkeit fließt auch mit ein, durch die Inszenierung.

Wie gehst du mit Nervosität während der Session um?

Meine Nervosität besteht nur vor der Session, sobald ich in der Session bin, bin ich “on“. Zoom – highly focused und nicht nervös, weil ich weiß, dass “es“ zu mir kommt. Ein tiefes Vertrauen in mich selbst und in mein Gegenüber. “Es” ist der Moment, wenn du weißt “that’s it, it’s here I can feel it.”

Mein subject und ich sprechen am Anfang der Session und wir lassen uns zusammen inspirieren. Ich laufe das Haus ab und lasse mich inspirieren. Die Kundin spürt meine Euphorie und meine Ideen und ich denke, all das hilft, sich weniger nervös zu fühlen.

Welche Rolle spielt die Intuition beim Fotografieren? In welchen Momenten leitet dich dein Bauchgefühl?

In sehr vielen. 

Es beginnt mit einer Szene oder Idee, die in den Tagen zuvor oder im Moment entstanden ist. Ich versuche, diese Szene, die ich in meinem Kopf habe, zu inszenieren, ins Leben zu rufen. Ich folge meiner Idee und lasse mich von ihr leiten. Auf einmal sehe ich etwas anderes und ändere meine Richtung, etwas Neues hat mich inspiriert. Es ist eine Kombination aus erträumten Szenarien und Intuition. Beide lasse ich zu, höre zu und folge.

Hast du vor der Session bestimmte Ideen im Kopf, die du ausprobieren möchtest oder gehst du mit dem Flow und reagierst spontan auf das, was du vorfindest?

Beides, da ich erst bei der Session sehe, was mich erwartet. Ich lasse mich inspirieren von Räumen und Kleidern, Licht und Person. Wie fühlt es sich an, dieses Licht, diese Person, dieses Kleid. Ich fahre einen Film in meinem Kopf aus Musik, Filmen, Szenen, Erinnerungen. 

Es ist viel Druck für mich am Anfang einer Session. Computer auf und es geht los. Die ersten 20 Minuten sind für mich essentiell und wichtig, das ist die Zeit, in der ich in meinem Kopf am meisten brainstorme.

Es ist einfach so spannend. 

Weißt du intuitiv, ob ein Bild gut ist, wenn es im Display erscheint? Wie und wo im Körper spürst du es?

Ich weiß es in dem Moment, wenn ich es sehe. Man weiß es einfach. Das kennen wir sicher alle. Das Adrenalin schießt ein. Das “Es”, über das ich eben gesprochen habe, ist da! Welcome my friend:-)

Suchst du die Kleidung intuitiv und spontan aus oder hast du vorher ein Konzept?

Das mache ich am selben Tag, wie ich es eben beschrieben habe. Die ersten 20 Minuten rattert es in meinem Kopf. Wir suchen Outfits und Locations (muss natürlich nicht sein mit den Outfits, aber es hilft mir eben im kreativen Prozess, und ich glaube, es ist auch interessant für mein subject.)

Gibt es für dich schlechtes Licht oder eine ungünstige Location? Was machst du, wenn dich die Situation nicht inspiriert?

Ja, schlechtes Licht gibt es für mich, aber nichts ist in Stein geschrieben. Ich finde mein Licht immer. Wenn ein Ort oder Stelle nicht passt, dann bewege ich mich solange, bis ich es finde. Selbst im kleinsten Raum gibt es viele Möglichkeiten. Ich mache mir eine Situation, die mich inspiriert. Manchmal reicht es, einen Finger zu krümmen oder ein Hosenbein hochzuschlagen. Die kleinsten Dinge können den größten Unterschied machen. Ich bin ein bisschen wie Pippi Langstrumpf, “Ich mach’ mir die Welt widdewidde wie sie mir gefällt.”

Danke, liebe Didi, big fat hug!


Didis Website (Didi bietet übrigens auch Mentoring für Remote-Sessions an)

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